mädchenname

(maiden name)

 

Das Verhaltnis von Müttern und Töchtern ist komplex. Das Bild Mother and Daughter des amerikanischen Fotografen Alec Soth zeigt dies auf subtile, vielschichtige Art und Weise. Der jungen Künstlerin Aslı Özdemir wurde bei der Betrachtung der Aufnahme die weitreichenden Dimensionen der Mutter – Tochter Thematik bewusst und sie ver- spürte die Notwendigkeit, diese in ihrem eigenen Schaffen auszuloten. 

 

Zwischen Müttern und Töchtern herrscht eine besondere Dynamik, die sich im Laufe des Lebens stetig wandelt. Kaum eine Beziehung konnte zunächst enger sein, als die zwischen Mutter und Kind. Doch die Tochter wird schließlich zur jungen Frau. Mit ihrem Erwachsenwerden erweitert sich auch ihr Erfahrungshorizont, nähert sich dem der Mutter immer mehr an, bis sich die beiden schließlich auf „Augenhöhe“ begegnen. 

 

Auf dieser Ebene angekommen, hat sich Aslı Özdemir Gedanken daruber gemacht, wie ihre Mutter wohl war, bevor sie ihre Mutter wurde. - Wer war sie als Mädchen, als junge Frau, wie hat sie gelebt, wie hat sie ausgesehen, welcher Wandel hat sich vollzogen? Özdemir erkannte, dass ihr eigenes Leben untrennbar mit der Geschichte ihrer Mutter verwoben ist und begab sich auf eine Art Spurensuche.

 

Özdemir arbeitete unter anderem mit Fotografien aus dem Archiv ihrer Mutter und eignete sie sich künstlerisch an: Sie fotografierte die Rückseite der Papierabzüge, beleuchtete aber gleichzeitig das Bild mit einer Lichtquelle. So scheint die Aufnahme seitenverkehrt und verschwommen durch die milchigweiße Rückseite des Abzugs hindurch, der nicht selten ein handschriftliches Datum trägt. Diese handschriftlichen Vermerke sind gewissermaßen Metadaten, die auf die konkrete Vergangenheit der Fotografierten verweisen.

 

Mit diesem Vorgehen eröffnet Özdemir einen gedanklichen Raum zwischen der Ver-gangenheit ihrer Mutter und ihrer eigenen Gegenwart, der eine neue Wirklichkeit er- zeugt. 

 

Diesen Dialog zwischen einer vergangenen Zeit und der Gegenwart erweitert Özdemir zusätzlich, in dem sie fotografische Stillleben kreiert, die sich aus Gegenständen ihrer Mutter zusammensetzen und die meist in häuslicher Umgebung platziert werden. So entsteht nach und nach eine Art indirektes Porträit der Frau und Mutter, ohne sie jemals zu zeigen.

 

Die Künstlerin bringt sich selbst durch das gezielte arrangieren der Objekte und deren fotografische Dokumentation in diese Welt und in dieses indirekte Portrait mit ein. Bei genauem Hinsehen entdeckt man außerdem zuweilen ein Bild des Surrealisten René Magritte, das Özdemir in die Stillleben integriert hat. Dieser Eingrif verweist auf die Person der Künstlerin selbst, die Bilder stehen aber auch für die Welt, die außerhalb des Mutter -Tochter Kosmos existiert. Sie können somit als biografische Emanzipation der Tochter von ihrer Mutter, als auch als Wandel des dynamischen Zusammenspiels der Biografien gelesen werden.

 

Neben den bearbeiteten Archivbildern und den Stillleben ergänzt eine weitere Werkgruppe die räumlich konzipierte Installation mädchenname: Es handelt sich um fotografierte Stillleben, die der Lebenswelt von Özdemirs Mutter entnommen sind. Auch sie zeigen Arrangements von Gegenständen, nur sind diese durch die Mutter entstanden, die somit gewissermaßen als künstlerisches Äquivalent von Özdemir erscheint. Sie besitzen eine Art erzählerisches Moment und sind aufgeladen mit Subtexten, die auf die Lebenswirklichkeit der Mutter verweisen.

 

Die Künstlerin selbst hat diese Art Arrangements durch die Fotografie in eine zwei- dimensionale Ebene gebracht und sie somit in das künstlerische Gesamtensemble eingefügt.

 

Licht spielt bei allen drei Bildschöpfungen eine wichtige Rolle: Die inszenierten Still-leben und die vorgefundenen Stillleben verbindet ein kühles, künstlich wirkendes Licht. Diese formale Gemeinsamkeit erzeugt ein seltsames Spannungsmoment, in dem nicht ganz klar ist, um welche Art Stillleben es sich gerade handelt. 

 

Auch verwischen dadurch die Unterschiede der Handschrift derjenigen, die die Bild- inhalte zusammengestellt hat – eine Art Verschmelzen auf formalästhetischer Ebene. Die historischen Aufnahmen wiederum werden durch die unorthodoxe Beleuchtung und Verkehrung von Vorder- und Rückseite zu einem ganz eigenen Leben erweckt, das einen organisch wirkenden Kontrapunkt zu den mit Blitz fotografierten Stillleben bildet.

 

Diese Trias von angeeigneten Archivaufnahmen, von bewusst angelegten und vor- gefundenen Stillleben erfüllt Aslı Özdemirs Arbeit „mädchenname“ mit Leben und einer Fülle interpretatorischer Möglichkeiten und zeugt von einer Tiefe und inneren Reife der jungen Künstlerin, die nicht selbstverständlich ist.

 

 

Text: Alexa Becker

 

EN

 

 

The relationship between mothers and daughters is complex. The image Mother and Daughter by American photographer Alec Soth shows this in a subtle, multi-layered way. The young artist Aslı Özdemir became aware of the far-reaching dimensions of the mother-daughter theme while viewing the photograph and felt the need to explore it in her own work. 

 

There is a special dynamic between mothers and daughters that changes constantly throughout life. Hardly any relationship could initially be closer than that between mother and child. But the daughter eventually becomes a young woman. As she grows into adulthood, her horizon of experience also expands, drawing ever closer to that of her mother, until the two finally meet at "eye level." 

 

Having reached this level, Aslı Özdemir has thought about what her mother was like before she became her mother. - Who was she as a girl, as a young woman, how did she live, what did she look like, what changes took place? Özdemir realized that her own life is inextricably interwoven with her mother's story and set out on a kind of search for clues.

 

Among other things, Özdemir worked with photographs from her mother's archive and appropriated them artistically: She photographed the back of the paper prints, but at the same time illuminated the image with a light source. Thus, the photograph shines through the milky white back of the print in a side-inverted and blurred manner, which not infrequently bears a handwritten date. These handwritten notes are, as it were, metadata that refer to the concrete past of the photographed.

 

With this approach, Özdemir opens up a mental space between her mother's past and her own present that creates a new reality. 

 

Özdemir further expands this dialogue between a past time and the present by creating photographic still lifes composed of her mother's objects, usually placed in domestic settings. In this way, a kind of indirect portrait of the woman and mother is gradually created without ever showing her.

 

The artist brings herself into this world and into this indirect portrait through the specific arrangement of the objects and their photographic documentation. If one looks closely, one also occasionally discovers an image by the surrealist René Magritte, which Özdemir has integrated into the still lifes. This intervention refers to the person of the artist herself, but the pictures also stand for the world that exists outside the mother-daughter cosmos. They can thus be read as a biographical emancipation of the daughter from her mother, as well as a change in the dynamic interplay of biographies.

 

In addition to the edited archival images and the still lifes, another group of works complements the spatially conceived installation mädchenname: these are photographed still lifes taken from Özdemir's mother's lifeworld. They, too, show arrangements of objects, only these are created by the mother, who thus appears to a certain extent as Özdemir's artistic equivalent. They possess a kind of narrative moment and are charged with subtexts that refer to the reality of the mother's life.

 

The artist herself has brought these kinds of arrangements into a two-dimensional plane through photography, thus inserting them into the overall artistic ensemble.

 

Light plays an important role in all three pictorial creations: the staged still lifes and the found still lifes are linked by a cool, artificial-looking light. This formal commonality creates a strange moment of tension, in which it is not entirely clear what kind of still life we are dealing with. 

 

It also blurs the differences in the handwriting of the person who compiled the image contents - a kind of merging on a formal aesthetic level. The historical photographs, on the other hand, are given a life all of their own by the unorthodox lighting and reversal of front and back, creating an organic-looking counterpoint to the still lifes photographed with flash.

 

This triad of appropriated archival photographs, of deliberately created and found still lifes fills Aslı Özdemir's work "mädchenname" with life and a wealth of interpretive possibilities, and testifies to a depth and inner maturity in the young artist that cannot be taken for granted.